(§2) Endlich besteht nun die Chance, dass dabei einige der dunkelsten Rätsel der seleukidischen Spät- und hessisch-chattischen Frühgeschichte in das helle Licht der Wissenschaft gezerrt werden.
(§3) Wie seinerzeit selbst in überregionalen Zeitungen gemeldet, stiess man beim Bau des Gebrüder-Grimm-Centers in Hanau auf die Reste einer chattischen Grosssiedlung von ganz erstaunlichen Ausmassen2; besonders die reiche Infrastruktur (SB-Bärkte, zwei Tankstellen, mehrere Münzfernsprecher und ein ausgeklügeltes Strassenbahnnetz) ist einmalig, und selbst die grössten bekannten keltischen Oppida machen daneben direkt einen ärmlichen Eindruck. Offensichtlich ist die Siedlung weder durch Nachbarn und verarmte Verwandte noch durch eine andere Katastrophe zerstört worden, sondern wurde von den Bewohnern planmässig geräumt. Im Tresor der örtlichen Bankfiliale war nicht einmal mehr Kleingeld vorhanden; bei den statt dessen gefundenen rätselhaften Tontafeln scheint es sich um Auszahlungsbelege und die Endabrechnung zu handeln. Die Brennstofftanks der beiden Tankstellen waren sorgfältig geleert und von allen Erdpechresten gereinigt worden.
(§4) Durch den Fund eines Werbekalenders3 einer in der Gallia Narbonnensis ansässigen römischen Import- und Exportfirma haben wir auch einen Terminus post quem: Nämlich die Catilinarische Verschwörung. In die Unterseite des Tonkalenders waren die Worte "Catilina caccate!" geritzt. Obwohl einige Epigraphiker darin lange eine fehlerhafte Variante von "je fünf Säcke für dich" sahen, ist sich inzwischen die Forschung einig, dass es "Besch... Catilina!" heissen muss, was eine gewisse Beziehung zu den Wahlkämpfen in Rom um das Konsulat der Jahre 65 und 64 nahelegt4.
(§5) Aber dieser Werbekalender ist nicht nur für die Datierung wichtig. Die Firma, die sich seiner bediente, gehörte einem gewissen L. Licinius Orosames5. Dieser war wahrscheinlich ein Freigelassener des L. Licinius Lucullus, der während der armenischen Feldzüge in römische Kriegsgefangenschaft geraten war. Orosames importierte Weine und Stoffe, vornehmlich von der Insel Kos, in die Gallia Narbonnensis, die, wie mehrere Funde von solchen Werbekalendern belegen, bis hin zu den Sueben und Chatten verkauft wurden6.
(§6) Die Ware, die Orosames zum Tausch erhielt, bestand in Germanenhaaren (als Rohmaterial für blonde Perücken) und gallischen und germanischen Sklaven, die die Besitzer nordkleinasiatischer Tavernen als ideale Türsteher, Rausschmeisser und Kellner ankauften7.
(§7) Dass aber zwischen den Geschäften dieses Herrn Orosames, den verschwundenen Chatten aus Hanau, der hiesigen Papyrussammlung und einem weiteren historischen Rätsel ein Zusammenhang besteht, das konnte man bisher nicht ahnen. Erst ein sensationeller Fund in Abchasien in der Nähe von Suchumi hat erschütternde neue Kenntnisse zu Tage gefördert.
(§8) Wie man den Fachzeitschriften entnehmen konnte, wurde nach dem Austritt Georgiens aus der Sowjetunion bei der Suche nach Massengräbern aus der Stalinzeit eine bisher unbekannte antike Siedlung entdeckt, die unter einer dichten vulkanischen Aschendecke begraben war. Leider ist der Vulkan, der dankenswerterweise die Katastrophe verursacht hat, verschwunden. Die Wissenschaft steht vor einem Rätsel: Abchasische Geologen der Universität Suchumi nehmen an, dass der Vulkan sich kurz nach diesem Ausbruch auf den Weg nach Westen machte, um Vesuv und ätna zu besuchen, was schliesslich zu dem Freudenausbruch des Vesuv im Jahre 79 n.Chr. geführt haben soll, der Pompeji und Herculaneum zerstörte. Dies belege einmal mehr die Bedeutung eines unabhängigen Abchasien für die Weltgeschichte.
(§9) Georgische Geologen von der Universität Tbilissi dagegen sind der Meinung, dass der Vulkan diese nicht-georgische Siedlung zerstörte, um gegen die Kolonialisierung seines Vaterlandes zu demonstrieren. In den langen Jahrhunderten der Fremdherrschaft habe er sich getarnt, sei aber unter Stalin von der GPU entdeckt und an die Eismeerküste verbannt worden, wo er jetzt noch völlig erkaltet ein Dasein als unterseeisches Gebirge friste, der letzte georgische Häftling des Archipel GULAG. Daraus gehe hervor, dass Georgien sich schon damals gegen jede Form von Fremdbesiedlung gewehrt habe und Abchasien bis zu den Gipfeln seiner Berge vollständig georgisch sei8.
(§10) Als Althistoriker sind wir natürlich für jeden fachübergreifenden Hinweis dankbar; dennoch wird diese Frage wohl ein Rätsel bleiben, solange die Archive des KGB für westliche Forscher geschlossen bleiben. Das soll uns jedoch nicht weiter stören, denn für uns ist der Fund dieses "Pompeji am Schwarzen Meer"9 ein grosser Glücksfall, dessen weitere Erforschung leider zur Zeit immer noch durch den Bürgerkrieg in Abchasien behindert wird.
(§11) In den Jahren 1989 bis 1992 (bis zum Aufflammen des Bürgerkriegs) konnte vom Deutsch-flämischen Archäologischen Institut in Suchumi lediglich ein Wohnviertel und Teile der nördlichen Stadtmauer punktuell erforscht werden. Aus den vorhandenen Inschriften kennen wir jetzt wenigstens den Namen der Stadt, der sowohl in einer griechischen Form - Seleukeia Eschate - wie auch einer armenischen - Molokerta - vorkommt10.
(§12) Architektur, Onomastik und Gebrauchsgegenstände zeigen das Bild einer hellenistischen Stadt mit einer armenisch-griechischen Mischbevölkerung11.
(§13) Ein besonders prachtvolles Peristylhaus nannten die Ausgräber Kannengiesser und Wijnstijn "Villa der Amphoren" (benannt nach leergetrunkenen Weinamphoren, deren Bruchstücke sich zu Hauf in dem Wasserbassin des Innenhofes fanden12). In diesem Haus wurden auch die ersten Papyri aus dem nördlichen Schwarzmeergebiet entdeckt, ein weiterer sensationeller Fund13. Aus den Fragmenten (vor allem Weinrechnungen, was gut zu den Amphorenfunden passt) geht der Name des Besitzers hervor: der Stratege Molon Andromachou, der zwischen 50 und 30 v.Chr. in Seleukeia Eschate gelebt haben muss, da ab diesem Zeitpunkt die Weinrechnungen von einem gewissen Ptolemaios Andromachou, wahrscheinlich der jüngere Bruder, beglichen werden. Die Funde brechen um das Jahr 10 v.Chr. ab, womit wir auch das wahrscheinliche Datum der Katastrophe haben. übrigens spricht dies gegen die Theorie einer Westwanderung des abchasischen Vulkans zum Vesuv: Sie hätte dann ca. 80 Jahre dauern müssen, und es ist unwahrscheinlich, dass dies niemand (nicht einmal Plinius d.ä.) bemerkt hätte.
(§14) Der Name des Besitzers der "Villa der Amphoren", sein Titel und der Name der Stadt offenbaren eine Beziehung zum im Jahre 63 v.Chr. von Pompeius Magnus liquidierten Seleukidenreich. Aus der seleukidischen Geschichte kennen wir mehrere Molones Andromachou, die einer Familie entstammten, die seit den Tagen des 3. Seleukiden, Antiochos' II. Theos, als Generäle in deren Heeren und Satrapien zu finden sind. Der letzte Molon Andromachou, von dem wir wissen, war Stratege des letzten Seleukidenherrschers Philipps II. Philorhomaios14. Communis opinio der Forschung war, dass dieser Molon Andromachou zusammen mit der Dynastie, der er diente, im Dunkel der Geschichte verschwunden war. Eine kurze Notiz im 7. Nachtrag zu den Scholien zu Polyains Stratagemata15 besagt zwar, dass ein gewisser Stratege Molon Andromachou im Jahr 257 seleukidischer Zeitrechnung (das ist ungefähr 55 v.Chr.) an der Spitze eines bunt gemischten16 und besonders wilden Söldnerheeres in der Nähe von Amisos am Schwarzen Meer eine Schlacht geschlagen habe, in der sein König, Alexander der Sohn, gefallen sei. Dann sei er in die Armenia Aphanes, das "unsichtbare Armenien", ausgewichen, wodurch er ebenso unauffindbar geworden sei wie jenes Armenien.
(§15) Der Name "unsichtbares Armenien", der keine Parallele hat, veranlasste die Forschung, diese Notiz als reinen Unsinn abzutun17. Auch ein König "Alexander der Sohn" ist völlig unbekannt. Dies ist nun im Lichte der Neufunde nicht mehr haltbar: Seleukeia Eschate ist wahrscheinlich die Stadt, die Molon Andromachou nach seiner Flucht aus Kleinasien an der Nordküste des Schwarzen Meeres gründete. Letzte Zweifel vertreibt der "Zweitname" der Stadt, Molokerta, armenisch für "Stadt des Molon", der auf die zahlreichen armenischen Söldner im Heer des Molon zurückgehen dürfte. Daher stammt sicherlich auch der hohe armenische Siedlungsanteil. Der Name Armenia Aphanes dürfte dann mit dem Vulkanausbruch zusammenhängen, der dieses Kleinarmenien jenseits des Meeres bis in unsere Zeit unsichtbar und unauffindbar machte18.
(§16) Der König Alexander der Sohn war dann wahrscheinlich der Sohn des letzten Seleukidenkönigs Philipp II. Philorhomaios, den man wegen seiner Jugend einfach "den Sohn" nannte. Schon allein dies ist eine ungemeine Bereicherung unserer Kenntnisse über das Schicksal der Seleukidendynastie. Aber was, so wird sich der geneigte Leser fragen, hat das mit der Chattensiedlung unter dem Gebrüder-Grimm-Center in Hanau zu tun?
(§17) Einen ersten Hinweis gaben die Weinamphoren; sie trugen die selben Siegel wie die, mit denen unser L. Licinius Orosames, ein gebürtiger Armenier, handelte19. Das konnte aber reiner Zufall sein. Ein neue Wendung nahmen die Dinge, als im vergangen Jahr ein georgischer Geschäftsmann aus Frankfurt der Papyrussammlung zu Hanau einige Fragmente anbot, die angeblich von einem Flüchtling aus Abchasien stammten, der sie genau an der Stelle gefunden haben wollte, wo auch die Archäologen schon soviel gefunden hätten. Dies war durchaus möglich, denn die Grabung lag nun im Kriegsgebiet und war unbewacht. Die Hand, die diese Fragmente geschrieben hatte, das bewiesen die Photographien des Molon-Archivs, war dieselbe, auch das Beschreibmaterial war echt. Daher kaufte die Papyrussammlung zu Hanau die Stücke in aller Stille an. Natürlich müssen diese illegal erworbenen Papyrusfragmente zurückgegeben werden, sobald sich Abchasen und Georgier darauf geeinigt haben werden, wem Suchumi und somit Seleukeia Eschate gehören20.
(§18) Diese Papyrusfragmente sind, anders als die bisher gefundenen, keine Geschäftsbriefe, sondern beinhalten einen Prosatext, nämlich Lebenserinnerungen (Hypomnemata), höchstwahrscheinlich die des Molon Andromachou. Es handelt sich um 53 Fragmente (P. Hanau Gr. Inv.-Nr. 4711-4764), die wahrscheinlich drei Schriftrollen zuzuordnen sind.
(§19) Ein ganz hervorragend erhaltenes Fragment (Inv.-Nr. 4738) gehört zu einer Schlachtenschilderung, einer Schlacht, in der ein König fiel und galatische Söldner auf Seiten des Molon kämpften. Die Parallelen zur "letzten Schlacht" des Strategen Molon Andromachou, in der König Alexander der Sohn umkam, liegen auf der Hand.
(§20) Textkritisch weist das Fragment keine Probleme auf; die Zeilen sind vollständig erhalten. Ich gebe hier den Text in deutscher übersetzung wieder: "Als ich sah, wie die Feinde den Kopf des Königs abschlugen und auf eine Stange steckten21, befahl ich den Rückzug. Belgios, der Führer der Galater, rief den grausamen Galatern (`Galatous agrious') zu, sie sollten ihm folgen. Da aber sprach der Fürst der wilden Galater in einem barbarischen Griechisch, noch heute werde er seinen Apfelwein aus den Schädeln der Feinde trinken und seinen Käse mit ihrem Blute zu Musik machen (`turon toj auton phonoj mousiken poiesesthai')22. Und als die grausamen Galater losstürmten ..." Hier bricht der Text ab.
(§21) Zahlreiche Fragen ergeben sich: Wer sind diese Galater, die von den übrigen Galatern durch das Epitheton "grausam" unterschieden werden? Warum antwortet ihr Fürst, von einem nachweislich aus dem kleinasiatischen Galatien stammenden Galater gefragt, auf Griechisch? Woher der Apfelwein, und wie kann man Käse mit Blut zu Musik machen?
(§22) Die "grausamen Galater" können keine Kelten gewesen sein, da sie offensichtlich kein Keltisch verstanden. Aber sie müssen den Galatern, die an sich schon den Ruf hatten, roh und grausam zu sein, ähnlich gewesen sein, und zwar im Sinne einer Steigerung. Sie können aber auch keine Barbaren vom Balkan (z.B. Illyrer oder Thraker) oder aus dem Kaukasus gewesen sein, denn die kannte Molon.
(§23) Das Volk aber, das den Kelten ähnlich genug war, um es mit diesen zu verwechseln, aber als noch grausamer galt, waren die Germanen. Was waren das aber für Germanen und wie kamen sie nach Kleinasien?
(§24) Hier dürfte uns der Ausruf des Fürsten der "grausamen Galater" weiterhelfen: Diese Galater tranken Apfelwein (`mˆl¡tˆs oŒnos') und machten Käse mit Blut zu Musik. Unter den Stämmen der Germanen gibt es nur einen, der Apfelwein trinkt und Käse mit Musik verbindet, den Stamm der Hessen, der Nachfahren der Chatten. Für Molon - wie auch für die meisten Nicht-Hessen heutzutage - ist die kulinarische Institution "Handkäs' mit Musik" rätselhaft. Wahrscheinlich hat der Fürst der "grausamen Galater" auch nicht gerufen, dass er Käse mit Blut zu Musik machen werde, sondern dass er seinen (Hand-)Käse im Blute der Feinde einlegen werde, woraus eine zugegeben seltsame Variante von "Handkäs' mit Musik" entstanden wäre. Oder, was wahrscheinlicher ist, das Griechische dieses Fürsten war so schlecht, dass er selbst diesen hochkomplizierten Vorgang in seiner übersetzung aus dem Chattischen verfälschte.
(§25) Wie aber waren diese Chatten nach Kleinasien gekommen, wissen wir doch, dass gerade die Chatten der sesshafteste Stamm der Germanen waren, die man nicht so leicht mit einer Banane aus dem Urwald locken konnte. Hier könnte der Weinhändler L. Licinius Orosames die Lösung liefern. Der handelte mit Menschen und hatte, wie oben gezeigt, Verbindungen mit dem Chattenland.
(§26) Sollte er eine ganze Siedlung, nämlich die, die unter den Fundamenten des Gebrüder-Grimm-Centers in Hanau liegt, aufgekauft oder zumindest in Lohn und Brot genommen haben, um sie als Söldner nach Kleinasien zu vermitteln? Vieles spricht dafür: Orosames war Armenier, die gesamte Reiterei Molons bestand aus Armeniern; Orosames bezog seinen Wein aus Kos, ebenso wie Molon. Molon wollte einen Krieg gewinnen, der das Schicksal der Seleukidendynastie noch einmal wenden sollte. Lag es nicht nahe, neue wilde Barbaren anzuwerben, die eine ebenso verheerende Wirkung auf die Feinde haben würden wie einst die Galater, als sie auf Einladung des Königs von Bithynien nach Kleinasien kamen. Und die Germanen hatten seit den Zügen der Kimbern und Teutonen eben diesen Ruf.
(§27) Aus den Grabungsfunden hier in Hanau wissen wir, dass dieses Oppidum von den fortschrittlichsten der Chatten bewohnt worden war. Wer unter den Chatten, wenn nicht diese, wäre bereit gewesen, nach Anatolien in ein weit entferntes unbekanntes Land zu fahren? Vieles spricht dafür, dass wir hier auf die Reste und Spuren einer Geschichte gestossen sind, die schon vergessen war, als Tacitus seine "Germania" schrieb, eine Geschichte, wie Hollywood sie noch nicht verfilmt hat. Zumindest erkennen wir nun, wenn die oben angebotene Rekonstruktion stimmt, wie wichtig wir Hessen schon immer für die Weltgeschichte waren, auch wenn wir oft genug auf Seiten der Verlierer standen.